Der heutige Blog-Eintrag hat einmal nichts mit Tragen und Stoffwindeln zu tun, doch handelt von Themen, die mich aktuell stark beschäftigen.
Tatsächlich sind gestern und heute Tage, an denen ich die Welt verfluche, mich für sie schäme, hoffnungslos bin. Nichts funktioniert. Bei mir nicht, aber auch in unserem Land nicht. In Teilen Deutschlands (!) herrscht wieder mal Dürre, das Trinkwasser wird in einigen Regionen knapp – bei uns! Und Carola Rackete wird festgenommen – weil sie nach mehreren erfolglosen Versuchen, mit Salvini zu kooperieren, bemerkenswerte Courage bewiesen und 40 Migranten schließlich auf eigene Faust gerettet hat. Was ist mit unserer Welt nicht richtig?
Gestern und heute sind Tage, an denen ich die Welt verfluche, mich für sie schäme, hoffnungslos bin. Nichts funktioniert. Bei mir, aber auch in unserem Land. In Teilen Deutschlands (!) herrscht wieder mal Dürre, das Trinkwasser wird in einigen Regionen knapp – bei uns! Und Carola Rackete wird festgenommen – weil sie nach mehreren erfolglosen Versuchen, mit Salvini zu kooperieren, bemerkenswerte Courage bewiesen und 40 Migranten schließlich auf eigene Faust gerettet hat. Was ist mit unserer Welt nicht richtig?
Das Sea-Watch-Drama nimmt mich besonders mit. Vielleicht, weil ich mich gut mit der nur ein Jahr älteren Carola identifizieren kann. Tatsächlich bewundere ich sie für ihre Tat und letztlich auch Selbstlosigkeit – denn die Strafen, die ihr drohen, können ihr im schlimmsten Falle wichtige Jahre ihres Lebens nehmen. Wer übernimmt heute schon noch die volle Verantwortung für etwas und opfert sich für fremde Menschen?
Ich habe eine unheimliche Wut darüber in mir, dass jemand, der helfen möchte, dafür bestraft wird. Es ist beinahe lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre. Ein weiteres Armutszeugnis darüber, wie verkorkst die ständig von Egoismus und Machtgier getriebene Menschheit ist. Es ging hier um Menschenleben. Leben. Zur Erinnerung: Es ist unsere gemeinsame Erde. Jedes einzelne Lebewesen hat das gleiche Recht, in Frieden hier zu leben. Ganz unabhängig von Ländergrenzen, Wirtschaft, Politik. Das interessiert die Natur, die Erde nicht. Nun gibt es aber diese Ländergrenzen. Und niemand kann sich aussuchen, ob und wo er geboren wird. Manche haben dabei etwas mehr Glück als andere. Das war es dann aber auch: Glück. Das macht sie noch lange nicht zu besseren Menschen. Im Gegenteil. Wir sind alle gleich wertvoll.
Reaktionen auf Carolas Tat à la „Es gibt Gesetze und an die muss man sich halten!“, „Sie schmuggelt Menschen und will sich daran bereichern!“, „Das Schiff hätte da auf See verrotten sollen!“, „Ewig viele Leute sterben vor der Küste Afrikas und sie macht einen Aufriss um diese 40 Leute?“ oder „Sie spielt hier die Mutter Theresa und möchte den Ruhm einkassieren!“ machen mich noch wütender. Sie sind allesamt engstirnig und intolerant. Wie kann man nur wirklich so denken? Ich bin geschockt darüber, wie wenige Menschen fähig sind, holistisch zu denken, zu reflektieren und sich in die Lage anderer hineinzuversetzen. Oder es zumindest versuchen. Wie kann man eine so menschliche Tat nur so leichtfertig abtun und sich einbilden, so einfach darüber urteilen zu können?
Ja, es gibt Gesetze. Und das ist grundsätzlich sicherlich gut und richtig. Aber kein Gesetz ist in Stein gemeißelt. Und keines ist perfekt, viele sind kontrovers. Gesetze sollten immer dynamisch sein und bei Bedarf revidiert werden können, wenn sich herausstellt, dass sie wichtige Dinge nicht abdecken. Jeder sollte auf friedliche Weise über die Regeln des Zusammenlebens mitbestimmen dürfen. Carola hat sich für diesen Weg entschieden, und es liegt dabei doch auf der Hand, dass es nicht ihre Intention war, leichtfertig die anarchistische Piratin zu spielen, aus Spaß Gesetze zu missachten und Politiker zu provozieren – und dabei als Heldin hervorzugehen. Sie ist ganz offensichtlich eine engagierte, menschenfreundliche Person, die in eine Ausnahme-, in eine Notsituation geraten ist und unter Druck eine Entscheidung treffen musste. Und dabei hatte sie die Wahl zwischen Regen und Traufe. Sie befand sie in einem moralischen Dilemma. Jedweder Ausgang dieses Dilemmas wäre kontrovers gewesen. Letztlich hat sie sich entschieden, Menschen in Seenot zu helfen, denen es nun nach Tagen und Wochen auf dem Rettungsschiff der Sea Watch immer schlechter erging, sowohl physisch, als auch psychisch: Die Menschen haben eine schlimme Vergangenheit hinter sich. Einige spielten mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Das Kerosin ging aus. Carola hat lange gewartet und immer wieder versucht mit Salvini zu kooperieren – da sie, oh Wunder, auch wusste, dass es Regelungen und Gesetze gibt, an die man sich grundsätzlich halten sollte. Doch was tut man in einer derartigen Situation, ohne Hilfe, ohne jemanden, der Verantwortung für die Menschen dort übernehmen möchte? Da ist man letztlich auf sich allein gestellt und mit der Frage konfrontiert, was mehr wert ist: Menschenleben oder Politik, Gesetze, Wirtschaft. Sie hat sich für die Menschen entschieden und dafür, ihr Gewissen lieber damit zu belasten, Gesetze gebrochen statt indirekt Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. Ist das falsch? In diesem moralischen Dilemma hat Carola das getan, was ihr richtig erschien. Sie hat menschlich gehandelt und folglich den Anlauf des Hafens als einzigen zumutbaren Ausweg gesehen. Sie wollte damit niemanden ärgern und sagte selbst, sie sei bereit die Konsequenzen zu tragen – was zeigt, dass sie Regeln respektiert und sich dem Verletzen dieser durchaus bewusst ist. Und dies sicher gern vermieden hätte. Doch ihr Handeln bleibt von anderer Seite unverstanden. Ist das fair?
Um diesen Ausgang zu verhindern, wäre mehr Kooperationsbereitschaft toll gewesen. Weniger: „Wir wollen diese Menschen aber nicht haben!“ (als wären sie Gut) oder: „Das sind unsere Gewässer, unsere Grenzen, ihr dürft hier nicht hin!“ Politik kann so ein Kindergarten sein. Ein riesiger Kindergarten für Große. Und selbst Kinder sind bereits deutlich verständnisvoller und kooperationsfähiger.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum Menschen, die eine neue Heimat suchen und in Frieden leben möchten, von Politik und Wirtschaft so oft auf „Schmarotzer“ oder wirtschaftliche Belastung reduziert werden. Es sind Menschen! Und viele von ihnen haben ganz bestimmt ein großes Interesse daran, gut zu leben und ihren Teil für sich (und die Wirtschaft…) beizutragen – wenn man sie lässt. Sie sind nämlich grundsätzlich nicht dümmer als europäische Einheimische. Sie hatten einfach nur mehr Pech mit ihren bisherigen Lebensumständen. Sie können unsere Gesellschaft bereichern mit Einblicken in andere Kulturen, Traditionen, Normen, Erfahrungen, Sichtweisen… Wenn man ihnen die Chance dazu gibt. Diversität unter Lebewesen ist, was die Schönheit unseres Planeten ausmacht, auf dem wir alle gemeinsam leben. Die Arroganz der westlichen Welt, sich einzubilden, über Menschenleben entscheiden zu können und sie – aufgrund wirtschaftlicher Gründe oder welcher auch immer – aus fiktiven Grenzen unseres Planeten (=Ländern) ausschließen zu können, ist ein Armutszeugnis. Politik mit starren Gesetzen, Wirtschaft mit profit- und wachstumsorientieren Ansätzen sind ein Armutszeugnis.
Was, wenn andere Leute auf dem Schiff gewesen wären? Salvini oder die Verurteilenden selbst, oder ihre Familie, Freunde? Hätten sie dann auch an ihren Gesetzen festgehalten? Wäre noch immer verboten worden, das Schiff in den Hafen einlaufen zu lassen, obwohl „wichtige“ und „bekannte“ Leute Teil der Migranten gewesen wären? Wäre dann immer noch die Rede von „Menschenschmuggel“ gewesen und davon, das Schiff auf See verrecken zu lassen? – Unsere Welt braucht weniger Arroganz, weniger den-einen-über-den-anderen-stellen. Wir brauchen eine humanere Sicht auf die Welt und auf Leben. Natürlich können viele unvorhergesehene, geflohene Menschen die Wirtschaft eines Landes erstmal durcheinanderbringen. Natürlich ist es daher auf der anderen Seite auch nachvollziehbar, dass Italien nicht sofort begeistert über weitere Geflohene ist. Dennoch: Aufgabe einer guten Politik bleibt es, eine Lösung dafür zu finden, ohne jemanden auszuschließen. Zu sagen: „Oh, das kommt unerwartet. Aber hey, kommt herein. Es wird nicht einfach, aber wir bekommen das schon irgendwie hin.“ Denn: Irgendwie geht es immer. Soschlecht geht es uns hier in Europa nicht. Und, schauen wir uns das Ergebnis an, dann war es doch plötzlich gar nicht mehr so schwierig, die Menschen auf fünf europäische Länder zu verteilen – oder? Warum konnte diese Lösung nicht von vornherein kooperativ gefunden werden? Warum musste dafür so viel abverlangt werden?
Ja, ein Hineinversetzen in Carolas Lage wäre schön. Nein, wie gesagt ist Carola keine Mutter Theresa, keine Piratin, keine gesetzeslose Rebellin, und ich denke, das will sie auch nicht sein. Sie ist eine Frau, die in eine aussichtslose Lage geraten ist und in dieser Lage letztlich dringend eine Entscheidung treffen musste, die vor Schlimmerem bewahrt. Und selbst wenn: Es ist auch nicht verwerflich, sich hinterher gut zu fühlen, weil man den Menschen geholfen hat. Das darf man. Es ist ein schöner Grund, sich gut zu fühlen. Ich wage zu behaupten, dass jemand, der es nötig hat, sie allen Ernstes deshalb zu kritisieren, es selbst nicht auf die Reihe bekommt, gute Taten in seinem Leben zu vollbringen und schlicht neidisch ist. Denn sein wir doch mal ehrlich: Jedes Lebewesen ist egoistisch und möchte, dass es ihm gut geht. Ist ja auch normal, das ist ein Grundtrieb, um zu überleben. Gibt es also wirklich selbstlose Taten auf der Welt? Selbst die scheinbar selbstloseste Form der Liebe – die zu unseren Kindern – kann letztlich als egoistisch bezeichnet werden, weil sie einem viel gibt und sich gut anfühlt. Allesist egoistisch, aber manches mehr und manches weniger. Salvini und Anhänger mehr. Carolas Tat weniger. Denn ihr eigenes Leben kann durch die Konsequenzen enorm beeinträchtigt werden. Also hat sie einen sehr mutigen Pfad gewählt. Dass sie allein dennoch nicht alle Menschen retten kann, die noch vor der afrikanischen Küste um ihr Leben kämpfen, ist selbstredend und der Vorwurf auch völlig daneben argumentiert. Wer schafft es schon, allen Menschen in Not zu helfen – allein? Leider niemand. Soll man deshalb gar nicht erst anfangen, überhaupt jemandem zu helfen? Jedes einzelne Menschenleben ist wertvoll und 40 davon sind schon eine ganze Menge. Bleibt zu hoffen, dass auch zahlreiche andere Menschen in Seenot gerettet werden – sollten bis dahin nicht alle helfenden Hände festgenommen worden sein.
Meine Gedanken bleiben bei Carola. Wo sie ist, was sie tut, wie sie sich fühlt. Ich ziehe meinen Hut vor dir, Carola. Mehr Menschen wie dich braucht die Welt. Die human sind und helfen wollen. Die über den Tellerrand hinausschauen und dabei dennoch nicht anarchisch und einfach „anti“ sind, sondern das große Ganze sehen und wissen, dass Gesetze eben auch ihr Gutes haben – und daher bereit sind mit dem Staat zu kooperieren. Doch die dann bei einem sturen Gegenüber in Extremsituationen eben auch – auf friedliche Art – den Mut haben Gesetze herausfordern. Denn auf diese Weise wird das Hinterfragen von Gesetzen angeregt und dann können sie im Idealfall angepasst und verbessert werden. Denn das ist es doch, was wir alle wollen, oder? Die Welt ein bisschen besser machen. Dazu muss man sich eingestehen, momentan eben noch nicht die idealen Regeln gefunden zu haben – und sie revidieren. Es gehört viel Mut dazu, sich Fehler (egal, auf welchem Level und in welchem Kontext) einzugestehen; Konsequenzen sind anstrengend und nerven. Aber es ist stark. Und nur so können wir in eine bessere Zukunft steuern.
Ich wünsche mir so, so sehr, dass dem Prozess hier am Ende wieder Gerechtigkeit gezollt wird. Dass in dieser Situation über Gesetze hinweggesehen und erkannt wird, was eigentlich die Intention hier war und wie es zu dieser „Anarchie“ überhaupt gekommen ist – und wer hier vielleicht Mitschuld trägt. Ich wünsche mir (immer!) eine inklusive Betrachtungsweise und das Hineinversetzen in Menschen und ihre individuellen Situationen. Bitte, sprecht Carola frei, denn sie hat 40 Menschen gerettet. Wenn so jemand als Verbrecher betitelt wird und es verdient hat, ins Gefängnis zu gehen, dann ist das der Beweis, dass all unsere Gesetze, Normen und Werte verzerrt sind und rein gar nichts mehr taugen.
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